Sustainable Finance Vision #1
Die Hoffnungen sind gross, dass sich die Finanzströme so lenken lassen, dass sie nachhaltige Unternehmen und Produkte fördern. Doch wissen wir Anleger:innen, worin wir unsere Gelder investieren und welche Auswirkungen dies auf unsere Umwelt hat? Und welche Anreize haben die Institute einen Wandel herbeizuführen – und mehr als nur das Marketing-Potenzial der Nachhaltigkeit zu nutzen?
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Michael Liechti und Peter Uebersax, die Autoren der Vision
Wo stehen wir an und wieso? Wir haben folgende drei Herausforderungen identifiziert.
Als Konsument:in von Produkten im Allgemeinen und Finanzdienstleistungen im Speziellen fehlt die notwendige Transparenz, um Kaufentscheidungen basierend auf Kriterien der Nachhaltigkeit zu treffen.
Die Schweiz zeigt sowohl als Finanzplatz, als auch als Nation zu wenig Ambitionen, um hinsichtlich Nachhaltigkeit als Musterschülerin zu gelten. Damit fehlen den Anleger:innen und Investor:innen klare Signale und der Wirtschaft der notwendige Druck, um ausschliesslich nachhaltig zu handeln.
Insbesondere nach den jüngeren Geldwäscherei-Skandalen und dem CS-Debakel ist klar, dass es Missstände gibt. Es ist schwierig die hohe Quantität der Regulierungs- und Aufsichtshandlungen in höchster Qualität durchzuführen. Bei einem Fehlverhalten können Einzelpersonen aus dem Management davon ausgehen, nur bedingt zur Rechenschaft gezogen zu werden. Ohne Bussenkompetenz analog der Wettbewerbskommission (WEKO) hat es die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht (FINMA) schwer, sich am Finanzplatz zu behaupten. Dies schadet dem Schweizer Finanzplatz besonders in der öffentlichen Wahrnehmung.
Transparenz am Finanzmarkt schafft Vertrauen, verhindert Greenwashing und ermöglicht es, dass Investor:innen nachhaltig handeln können.
Eine aktualisierte Datenbank über Firmen und deren Anlageprodukte bewertet die Nachhaltigkeit eben dieser. Mehr Transparenz schafft Vertrauen und ermöglicht, Verantwortung zu übernehmen. Somit herrscht bei Vermögensanlagen (inkl. 2. und 3. Säule) Transparenz hinsichtlich der Nachhaltigkeit der Investitionen zu Umwelt, Sozialem und Unternehmensführung.
Anstelle des freiwilligen Klimaverträglichkeitstests ist im Jahr 2050 ein Nachhaltigkeitstest, welcher nicht nur das Klima, sondern auch das Soziale und die Unternehmensführung berücksichtigt, für alle in der Schweiz ansässigen Banken, Versicherungen, und Pensionskassen obligatorisch. Der Test wird weiterhin vom Bundesamt für Umwelt (BAFU), dem Staatssekretariat für internationale Finanzfragen (SIF) und neu mit der FINMA zusammen durchgeführt. Zudem deckt der Nachhaltigkeitstest alle relevanten Geschäftsaktivitäten ab, was beim Klimaverträglichkeitstest noch nicht der Fall war.
Der Schweizer Finanzplatz ist in der Zukunft der weltweit führende Standort in Bezug auf Transparenz und Nachhaltigkeit. Dies wird sichergestellt, indem qualitativ hochwertige Datengrundlagen zu Umwelt, Sozialem und Unternehmensführung vorhanden sind und verwendet werden. Die Übernahme und Verankerung internationaler Standards im Gesetz und die Durchsetzung eben dieser Gesetze ist, was den Schweizer Finanzplatz auszeichnet. Die Durchsetzung resultiert in einem Wettbewerbsvorteil in Bezug auf die Glaubwürdigkeit.
Der Schweizer Finanzplatz ist im Jahr 2050 im internationalen Kontext grün, integer, sicher, innovativ.
Der Schweizer Finanzplatz setzt nach wie vor auf Innovation, durch die weiterhin enge Zusammenarbeit mit Industrie, Universitäten und Fachhochschulen sowie durch die weiterführende Förderung von Fintechs.
Investitionen in Produkte, welche der Umwelt und den Menschen Schaden zufügen, werden mit einem Malus-System bestraft. Damit wird zum Beispiel erreicht, dass es bereits vor dem Jahr 2050 keine Investitionen in oder Steuererlassungen für fossile Brennstoffe mehr gibt.
Im Jahr 2050 ist die Glaubwürdigkeit des Schweizer Finanzplatzes gefestigt.
Um an der Swiss Infrastructure and Exchange (SIX) oder an einer künftigen digitalen Börse gelistet oder tokenisiert zu sein und Transaktionen durchführen zu können, müssen Schweizer Regeln bezüglich Nachhaltigkeitsberichterstattung konsequent angewendet werden.
Die FINMA oder die künftige Aufsichtsbehörde ist im Jahr 2050 befähigt, Bussen auszusprechen. Die Bussenkompetenz erhöht das Durchsetzungsvermögen sichtbar.
Ein Schweizer Staatsfonds, unabhängig von der Schweizerischen Nationalbank (SNB), ist im Jahr 2050 Realität und setzt sich als aktiver Investor zusammen mit dem Norwegischen Staatsfonds, sowie den grössten institutionellen Investoren in der Schweiz und Europa für nachhaltiges Investieren ein.
Um die Vision Wirklichkeit werden zu lassen, empfehlen wir die folgenden vier Massnahmen.
Heute muss jedes börsenorientierte Unternehmen einen Jahresabschluss für seine Interessensgruppen (Stakeholder) erstellen. Environment, Social und Governance (ESG) wird mehr und mehr ein Teil davon, dies zeigt auch klar die Schaffung von International Financial Reporting Standards (IFRS) S1 und S2, welches aus der Task Force on Climate-Related Financial Disclosures (TCFD) entstand. Jedoch gibt es zu viele unterschiedliche Daten, welche die Nachhaltigkeit von Investitionen bewerten, als dass diese verarbeitet werden könnten. Es herrscht Verwirrung und Unentschlossenheit.
Im Jahr 2050 soll eine klar definierte Anzahl Indikatoren für alle Unternehmen definiert sein, dies verbessert in der Bevölkerung das Verständnis bezüglich der Nachhaltigkeit von Investitionen stark.
Die Schweiz wird also ESG auch in die Vorschriften der Fachempfehlungen zur Rechnungslegung (Swiss GAAP FER) aufnehmen und somit börsenorientierte Unternehmen auffordern, bestimmte Informationen offenzulegen, damit Anleger:innen und Investmentmanager:innen Zugriff auf diese Datenpunkte haben und diese effektiv vergleichen können. Diese konsistenten Indikatoren ermöglichen es Privatanlegern und Vermögensverwaltenden, die Portfolios anzupassen und sich dabei auf spezifische Werte und Vorlieben zu konzentrieren. Zusätzlich werden nicht börsenkotierte private Unternehmen verpflichtet, diese ESG Kriterien ebenfalls zu veröffentlichen. Die Klimakrise macht auch vor dem privaten Sektor nicht halt. Dies wird sichergestellt, in dem die Schweiz das Corportate Sustainability Reporting Directive (CSRD), welches im Jahr 2023 für alle EU-Mitgliedstaaten in Kraft getreten ist, übernimmt und im Schweizer Gesetz verankert. Mit CSRD werden alle privaten Unternehmen in die Pflicht genommen welche zwei der drei folgenden Kriterien erfüllen:
Nachstehend einige ESG Indikatoren, welche im Jahr 2050 für jede öffentliche und privatrechtliche Firma und somit auch für jedes Investitionsprodukt gelten sollten. Diese Indikatoren sind nicht abschliessend, je nach Sektor unterschiedlich, werden sich bis ins Jahr 2050 und darüber hinaus laufend anpassen. Damit Greenwashing aktiv verhindert wird, ermittelt eine von den betroffenen Unternehmen unabhängige Stelle die Indikatoren. Dies könnte zum Beispiel die FINMA in Zusammenarbeit mit der SIX sein (in Singapur ist es z.B. die Monetary Authority of Singapore zusammen mit der Singapore Exchange).
Environment (Umwelt)
Social (Soziales)
Governance (Unternehmensführung)
Der Fokus auf Risiken respektive Missstände ist bewusst gewählt, da so Greenwashing verhindert wird. In Zukunft benötigt es auch positive Indikatoren, jedoch kann man die positiven Indikatoren nicht mit Missstände verrechnen. Deshalb gilt es zuerst bei diesen anzusetzen.
Stimmrechte haben eine wichtige Kontrollfunktion. Bei kollektiv gehaltenen Beteiligungen wie Exchange Traded Funds (ETF) und Indexfonds wird das Stimmrecht jedoch von Anleger:innen an die Investmentgesellschaft übertragen. Wer im Jahr 2023 zum Beispiel in einen Indexfonds oder einen ETF investiert, delegiert die Stimmrechte. Somit müssen Anleger:innen darauf vertrauen, dass die Investmentgesellschaft bei Hauptversammlungen ihre Interessen vertritt und in ihrem Sinne abstimmt. Diese Stimmrechtsvertretung nennt man Proxy Voting. BlackRock hat im Jahr 2023 bereits eine Initiative namens Voting Choice ins Leben gerufen. Institutionelle Kunden wie Pensionskassen sollen mithilfe von Voting Choice entscheiden, wie BlackRock bei Hauptversammlungen stellvertretend abzustimmen hat. Was früher noch als umständlich galt, ist somit durch neue Technologien und die Digitalisierung einfacher umsetzbar.
Im Jahr 2050 sollen auch Einzelpersonen Zugang zu Technologien ähnlich wie Voting Choice haben. Sie erhalten damit die Möglichkeit der Investmentgesellschaft mitzuteilen, wie diese abzustimmen hat. Diese Abstimmung kann stellvertretend für die Präferenz aller Anlegenden im Fonds erfolgen. Dies wird erreicht, indem man den Vermögensverwalter:innen, welche kollektive Anlagen in der Schweiz anbieten, vorschreibt, bis 2030 ein System für institutionelle Kunden anzubieten. Für Privatanleger:innen soll dies spätestens ab 2035 vorhanden sein. Investor:innen müssen ihre Präferenz für die Abstimmung aktiv dem Vermögensverwalter resp. der Investmentgesellschaft mitteilen.
Die Schweizerische Eidgenossenschaft gründet basierend auf klaren Grundsätzen einen Staatsfonds. Dieser setzt im Markt klare Zeichen und animiert so institutionelle, private, nationale und internationale Anleger nachhaltig zu investieren. Der Schweizer Staatsfonds lebt der Bevölkerung nachhaltiges Investieren vor. Nur wer nachhaltig und transparent wirtschaftet, wird berücksichtigt. Die folgenden sechs Aspekte bilden die Grundlage:
Die Finanzierung des Fonds ist analog zu Finanzierung und Ausbau der Bahninfrastruktur (FABI) aufgesetzt. Mittel wie die CO2-Abgabe (eine seit 2018 bestehende Leistungsabgabe auf fossile Brennstoffe), eine Mehrwertsteuer oder alternativ eine Luxussteuer sorgen für eine Grundfinanzierung. Nicht nachhaltige Aktivitäten sowie der Konsum von Luxusgütern tragen damit wesentlich zur Finanzierung des Staatsfonds bei.
Die FINMA setzt weiterhin das Aufsichtsrecht per Verfügung durch, auch Berufsverbote werden weiterhin ausgesprochen. Zusätzlich erhält die FINMA die Kompetenz, Verwaltungsbussen auszusprechen. Die FINMA kann Bussen direkt gegen Finanzinstitute und Einzelpersonen verhängen, die regulatorische Vorschriften missachtet oder gegen solche verstossen haben. Zusätzlich ist die FINMA bei schweren Verstössen von Instituten und Personen verpflichtet, diese bei der zuständigen Strafuntersuchungsbehörde zur Anzeige zu bringen, damit das Gericht über den strafrechtlichen Sachverhalt entscheiden kann. Die Höhe der Tagessätze basieren auf dem Einkommen der fehlbaren Einzelperson respektive auf dem Umsatz des Finanzinstituts.
Die FINMA muss auch als durchsetzungsstarke öffentlich-rechtliche Anstalt ihre Macht verhältnismässig einsetzen, sie untersteht weiterhin der parlamentarischen Oberaufsicht. Die FINMA erhält die notwendigen Mittel, um die hohe Quantität an Regulierungs- und Aufsichtshandlungen mit höchster Qualität ausführen zu können. Die Bussenkompetenz und die Anzeigepflicht der FINMA wird erreicht, indem die politischen Kräfte aus der Mitte (Grünliberale Partei, Mitte-Fraktion) mit der Ratslinke (Sozialdemokratische Partei, Grüne) gemeinsam die Forderungen der FINMA unterstützen und ihnen im Parlament zum Durchbruch verhelfen beziehungsweise eine rechtliche Grundlage dafür schaffen, indem es zum Beispiel im Finanzmarktaufsichtsgesetz verankert wird. Die Lehren aus dem Ende der Credit Suisse und der öffentliche Druck schaffen das notwendige Momentum und können politisch genutzt werden.
Wir danken Michael und Peter ganz herzlich für ihren Beitrag. Die Ideen und Texte sind im Rahmen des Projekts „Vision Schweiz 2050“ des glp lab entstanden. Dabei wurden diese im Sustainable Finance-Team und z.T. mit externen Expert:innen diskutiert und kommentiert. Nichtsdestotrotz legen wir bei diesem Projekt wert darauf, dass individuelle und zum Teil unkonventionelle Sichtweisen und Ideen Raum finden.
Michael Liechti
Senior ESG Advisor
Peter Uebersax
Elektroingenieur
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